Schwester Lorena

Schwester Lorena Jenal.
Bild: Bettina Flitner.
Schwester Lorena Jenal, geboren 1950 in Samnaun, hat sich als Baldegger Ordensschwester weltweit Respekt für ihren mutigen Einsatz in Papua-Neuguinea erkämpft. Seit 1979 lebt und wirkt sie auf der Insel, wo sie gegen Hexenverfolgungen kämpft und Opfer von Gewalt schützt.
Die meisten Männer verlieben sich in Frauen, die meisten Frauen verlieben sich in Männer und ich habe mich in die Menschen Papua-Neuguineas und deren Paradies verliebt.

Schwester Lorena

Schwester Lorena Jenal, geboren 1950 als Friederike in Samnaun, lebt und wirkt seit 1979 in Papua-Neuguinea. Schwester Lorena ist im Zentrum des Landes in der Diözese in Mendi tätig. Das Land ist rund 10-mal so gross wie die Schweiz, hat mit 8.9 Millionen fast gleich viele Einwohner. Ein Land mit über 820 Sprachen und Kulturen. Die Insel liegt im Pazifik nord-östlich von Australien. 

Schwester Lorena Jenal. Foto: Dominik Täuber.

Die Papua, so werden die Menschen auf der Insel genannt, sind überfordert von der raschen Modernisierung: Die Entwicklung, welche in Europa vom Mittelalter in die Moderne über mehrere Jahrhunderte andauerte, hat Papua-Neuguinea in nur 50 Jahren durchlebt. Bis vor kurzem flüchteten die Menschen als Gegenreaktion in traditionelle Sippenkämpfe. Mit Mediation und Kommunikation gelang es, viele Kämpfe friedlich zu lösen. Ein neues Phänomen ist der Hexenwahn, Sanguma genannt, der erstmals 2012 vorkommt: Wenn beispielsweise in einem Dorf eine Person stirbt, und sei es eines natürlichen Todes, wird ein Sündenbock für den Tod gesucht. Meist sind es Frauen mit starkem Charakter, welche beschuldigt werden und als Hexen verurteilt werden. Die beschuldigten Frauen werden öffentlich gedemütigt, ihre Kleider werden vom Leib gerissen und die Frauen werden mit glühenden Eisenstangen misshandelt, am Busen, in den Unterleib, am ganzen Körper. Schwester Lorena will den Folterern das Handwerk legen. Aber es werden immer mehr, sagt sie. 

Schwester Lorena geht in die Dörfer der misshandelten Frauen, bringt sie und ihre Kinder an einen sicheren Ort, pflegt sie gesund und organisiert ihr Leben nach den Folterungen: Wenn die Opfer das wollen, wird versucht, sie wieder in die Dörfer zu integrieren. Das ist jedoch nicht immer möglich: Oft sind es die eigenen Männer, die sie der Hexerei bezichtigen. 

Mit den Tätern sucht sie das Gespräch: Bei Rollenspielen, Gottesdiensten, Versöhnungen, Eingliederungen und Diskussionen zur Logik werden die Folterer konfrontiert zu ihren Handlungen. Oft braucht es über Wochen viele solcher Gespräche, bis die Folterer verstehen, dass der irrationale Hexenwahn falsch ist: Wie kann man die Nächstenliebe kommunizieren und gleichzeitig Mütter foltern? Durch Gespräche wie der Diskussion zur Logik kann man den Menschen klarmachen, dass deren Vorstellungen falsch sind. Sobald sie sich dessen bewusst werden, sind sie tief erschüttert und beginnen, sich in die Situation der andern hineinzuversetzen. 

Die Arbeit von Schwester Lorena ist nicht ungefährlich: Schon mehrmals hatte sie ein Messer am Hals oder eine Pistole an der Brust. In diesen Momenten appellierte sie an den Aberglauben der Einheimischen und drohte – ausnahmsweise: «Wenn Du mich jetzt tötest, wird mein Geist weiterleben. Wehe dir, mein Geist wird dich plagen!» 

Im Juli 2022 hielt Schwester Lorena im Schulhaus in Samnaun-Compatsch einen eindrücklichen Vortrag über Ihre Arbeit in Papua-Neuguinea. Sie erzählte von den misshandelten Frauen, die sie zu sich genommen und gepflegt hat: Zum Beispiel von der bewundernswerten Maria, Mutter von sechs Kindern, die 2017 der Verhexung ihrer Verwandten beschuldigt und brutal misshandelt wurde, verlor zu keinem Zeitpunkt ihre strahlenden Augen. Maria konnte fünf Monate nach den Misshandlungen wieder nach Hause gehen. Heute begleitet Maria Schwester Lorena, um neue Opfer zu besuchen und für sie ein Vorbild zu sein. Sie ist eine aktive Teilnehmerin und Sprecherin bei den Seminaren mit den Tätern. Maria trägt die Hoffnung in die Welt hinaus und ist nicht nur für Sanguma-Opfer ein Vorbild, sondern für jeden einzelnen von uns. 

Trotz all des Leids, dass Schwester Lorena Jenal erlebte, bleibt sie positiv und optimistisch: Sie glaubt an das Gute im Menschen. Das motiviert sie, weiterzumachen. Auf die Frage, ob sie eines Tages wieder zurück nach Samnaun kehren wolle, antwortete sie mit einem breiten Lachen, dass sie so lange wie möglich in ihrem Paradies in Papua-Neuguinea bleiben möchte. Sie hat ihr Paradies gefunden. 

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Schwester Lorena Jenal. Foto: Dominik Täuber.

Schwester Lorena

Mehr über Lorena Jenal und ihr Schaffen in Papua Neuguinea erfahren Sie auf ihrer Website.

Zu sr-lorena.ch

Bilder: Dominik Täuber, Bettina Flitner (Titelbild).