Wenn Samnaun ein Duft wäre
Parfümeur Mathias Leipold
Die Samnauner Antwort auf «Das Parfüm»
Als ich mich eines Morgens nach Samnaun aufmachte, wusste ich nicht, was mich erwartet.
Wer ist der junge Parfümeur, von dem alle sprechen und wie wird er mich riechen?
Mir kommen Szenen aus dem Bestseller-Roman «Das Parfüm» in den Sinn.
Es ist ein sonniger Tag und ich schlendere die Dorfstrasse durch Samnaun Dorf, dem einzigen zollfreien Paradies der Schweiz, bis zur Arcada Haute Parfumerie mitten im Dorf. Ich betrete das Geschäft und werde bereits von Mathias Leipold erwartet, welcher mir auch sogleich eine Führung durch «sein Reich» gibt. Handwerker sind gerade dabei, einen neuen Teppich in der Boutique zu verlegen. Ein satter Braunton. Passend dazu elegante Lederstühle mit goldenen Beinen. Das Erscheinungsbild erinnert mich an eine edle, luxuriöse Hotellobby. «Zu meinem 10-jährigen Jubiläum durfte ich mir eine neue Einrichtung wünschen», lacht Mathias Leipold.
Mit «Gucci Eau de Parfum II» zum Traumberuf
Wir schreiben das Jahr 2009. Das Schicksal hat den gelernten Restaurateur Mathias Leipold ins zollfreie Samnaun verschlagen. An einem Abend kommt die Inhaberin der Haute Parfumerie Arcada auf einen Drink an der Bar im Chasa Montana vorbei, in welcher Leipold dazumal arbeitete. «Sie tragen Gucci Eau Parfum II!» sagte Leipold zu der Dame, nachdem er ihr ein Getränk serviert hat. Dies hat ihr so imponiert, dass sie ihm sofort eine Stelle in ihrer exklusiven Parfümerie angeboten hat – sein Traumberuf, wie sich später herausstellte.
Heute, nach 10 Jahren in der Parfümerie-Szene, hat er sich einen ganz eigenen Duft-Wortschatz angeeignet, mit welchem er heute seine Kunden und Kundinnen berät. Es gibt keine «Duft-Schulungen» oder eine spezielle Ausbildung zum Parfümeur. Vielmehr beschreibt Leipold einen Duft mittels einem Bild, welches bei ihm beim Riechen im Kopf entsteht: «St. Tropez, bummeln, spazieren gehen, die Sonne scheint einem auf die Haut.»
Das Netzwerk neuster Trends und Düfte pflegt Leipold seit Jahren auf Messen, zum Beispiel in Südfrankreich und Italien. Früher war es ein gutes Stück Arbeit, exklusive Parfüm-Firmen unter Vertrag zu bekommen. Heute kommen Hersteller zu ihm mit der Bitte, sie in seinem Sortiment aufzunehmen.
Individualität beginnt beim Duft
Ich wollte wissen, wie Mathias Leipold den perfekten Duft für eine Person findet: «Nebst dem guten Riecher braucht es eine gute Portion Menschenkenntnisse.» Diese, so sagt er, habe er sich früh angeeignet. Der häufige Kontakt mit unterschiedlichsten Menschen hat ihn zu dem gemacht, was er heute ist. Kommt man von der Piste der Silvretta Skiarena Samnaun/Ischgl oder von einer Wanderung von der Alp Bella zurück ins Dorf, um ein exklusives Parfüm zu erwerben, werden einem nach einem kurzen Beratungsgespräch drei Düfte empfohlen. Einer ist es dann – der Duft, den man schon immer wollte, aber nicht kannte.
Das Beratungsgespräch baut Leipold so auf, dass er das Erscheinungsbild der Person auf sich wirken lässt. Ist es ein sportlicher Mann, eine chice Frau, eine auffällig geschminkte Frau, ein Businessmann oder von Kopf bis Fuss tätowiert? Für ihn ist klar: Der Duft muss die Persönlichkeit unterstreichen. Von den Düften, die für dieses oder jenes Erscheinungsbild in Frage kommen, stellt er dann eine Auswahl zusammen. Um den Duft zu präsentieren, formt Leipold eine Rose aus einem Kosmetiktuch und besprüht diese. Warum? Es soll die Haut darstellen und ist so viel luftiger und authentischer als die bekannten Parfüm-Streifen.
Die individuelle Beratung spricht für sich, so sind 80% der Gäste Stammkunden.
Wenn Samnaun ein Duft wäre, wie würde dieser riechen?
Mathias Leipold würde Samnaun zwei Düfte geben. Einen für den Winter und einen für den Sommer.
…im Winter ein puristischer Duft
Mathias Leipold: «Sehr klar, kristallin, geradeaus, puristisch, kühl wie der Schnee und der blaue Himmel, so wie eine eiskalte Nacht, in welcher man den Atem sieht».
…im Sommer ein bergblumiger Duft
Im Sommer beschreibt Mathias Leipold mir seine Gedanken zum Duft wie folgt: «Bergwiesen, Blüten, frisch gemähte Gräser in Kombination mit dem Bergsommer am Piz Ot, welcher bis oben hin mit grünen Wiesen bedeckt ist.»
Als wir uns verabschieden, bekomme ich die drei obligaten Parfüm-Muster mit auf den Weg. Einer von ihnen ist der unten beschriebene Lieblingsduft von Mathias Leipold. Immer wieder ertappe ich mich, wie ich an der damit eingesprühten Kosmetiktuch-Rose rieche. Aber auch mit den anderen Düften kann ich mich auf eine ganz spezielle Art und Weise identifizieren – welches Parfüm wird wohl meine zweite Haut werden?
Über Mathias Leipold:
Alter: «Ein Duft hat kein Alter und meine Wenigkeit ebenso» (Zitat: Mathias Leipold)
Herkunft: Seit 12 Jahren in Samnaun, ursprünglich aus der «deutschen Pampa» (Zitat: Mathias Leipold)
Seine Highlights in Samnaun: Piz Ot im Sommer, der Herbst in Samnaun mit den bunten Lärchen und dem speziellen Duft, im Winter tief verschneit mit dem Flair vom Weihnachtsgeschäft das aufkommt, Märchenweg Murmina Murmin mit Aussichtspunkt auf das Dorf Samnaun, die weiteren Dörfer und den Piz Ot.
Lieblingsduft: «Einer, von welchem man viel aufsprühen kann», schmunzelt Leipold. Überhaupt könne man mit einem guten Parfüm nie überparfümiert sein, gibt er mir als guten Rat mit auf den Weg. Sein aktueller Lieblingsduft ist Zarko Pink Molécule – ein dänischer Duft mit dem Champagner-Molekül als Basis, ein lineares Parfüm, welches man aufgrund dieser Beschaffenheit auch nicht verreiben soll. «Der Duft prickelt, ist frisch – ich könnte darin baden!», sagt er.
Text: Madeleine Papst
Fotos: Cyrill Suter